Ich muss an die Front.

25.03.2020 37265 Infizierte 204 Tote


Heute wurden wir kurzfristrig zu einem Chefarzt Meeting bestellt. Ab Montag sollen zwei von uns Gynäkologen auf der Covidstation aushelfen. 
Die neue Kollegin wurde quasi gezwungen, weil sie bei uns eh keine Dienste machen darf, weil sie noch nicht eingearbeitet ist. Und ich habe mich freiwillig gemeldet. 

Mir gehen ehrlich gesagt die Schwangeren mit ihren Luxusproblemen auf den Sack. Ich will an der Front mithelfen und Leben retten und keine Endlosdiskussionen führen, warum der werdende Vater im Moment nicht täglich auf der Wochenbettstation seine Keime verbreiten darf. Noch witzeln meine Kollegin und ich darüber, wie wir als „Gyntanten“ da aushelfen sollen, mit unseren Specula vielleicht? 
Normalerweise wird die Gynäkologie doch von den anderen Abteilungen  immer etwas belächelt, so nach dem Motto: Die Kinder würden auch von alleine auf die Welt kommen blabla.  Mal sehen wie es uns in einer Woche ergeht.  Aktuell liegen auf der Coronastation 13 Patienten und auf Intensiv 3.Keine Ahnung was ich dann ab Montag machen muss und ob ich das kann. 





Hab mir die wichtigsten Fakts zur atypischen Pneumonie in ein Notizbuch geschrieben, was ich jetzt immer im Kittel trage und mein Stethoskop aus der Verkleidungskiste gefischt. 
Bin gespannt was mich erwartet. 

Gestern hatte ich ein Skypetreffen mit 6 Leuten über 3 Stunden. Alle tranken Wein und meinten  sie könnten das Coronathema nicht mehr hören. Jeder von uns ist anders von der Krise betroffen. Die Grundschullehrerin sitzt zuhause und bekommt böse Emails von den Eltern der Schüler, dass die Kinder die Arbeitszettel nicht alleine hinbekämen und ob sie nicht täglich alle 20 Kinder einmal anrufen könnte. Boris muss in Kurzarbeit gehen und hat jetzt deutlich weniger Kohle. Lola findet keinen der im Moment ihre Bachelorarbeit betreuen will und spielt den ganzen Tag Tetris auf Nintendo64. Lolas Freund hat seine Studentenjobs verloren und weiß nicht wovon er die Miete bezahlen soll. Kira ist wie ich Langzeitsingle und hat das Tindern wieder angefangen. Sie meint da sind grad richtig viele Männer aktiv. Ob das erste Date dann wohl auch per Skype erfolgt? 
Morgen haben wir uns erneut zum Skypen verabredet, aber diesmal sollen sich alle verkleiden. Man muss den Shutdown einfach so gut gestalten wie es geht und darf den Humor nicht verlieren. Vielleicht verkleide ich mich als Internist, dann kann ich mich schon mal an die Rolle gewöhnen, die ich ab Montag spielen soll.  

Alles nur Panikmache der Reptiloiden?

Montag 23.03.2020 24900 Infizierte 94 Tote


Krass wie sich die eigene Wahrnehmung in zwei Tagen wandeln kann. Ich bin bei Youtube auf Videos von verschiedenen anerkannten Virologen gestoßen, die postulieren, das ganze Corona Thema werde durch die Medien und die Politik hysterisch aufgebauscht und eigentlich sei alles gar nicht so schlimm. Nur durch die von der Politik verananlassten Maßnahmen gleiche unser Verhalten einem „kollektiven Selbstmord“.

Meine Reaktion auf die Videos war: "Was für ein Kokolores, was die da faseln, am Ende ist das noch alles eine Veschwörung durch die Reptiloiden, haha!"



Aber ein winziger Teil von mir klammert sich an den Gedanken, dass vielleicht alles gar nicht so schlimm kommt wie angekündigt. Heute Nacht konnte ich zum ersten Mal seit Tagen wieder durchpennen, weil die innere Angst nicht mehr da ist. Ich finde das interessant, wie die menschliche Psyche auf solche Ausnahmesituationen reagiert. Aus der absoluten Panik von vorgestern, ist heute die komplette Verdrängung der Tatsachen geworden.

Aktuell haben wir im Krankenhaus 5 Patientin auf der Coronanormalstation und 1 auf Intensiv. Also am Ende unserer Kapazität sind wir noch lange nicht. Die Schwangere von Samstag hat übrigens kein Corona gehabt, sondern wahrscheinlich Keuchhusten. Heute morgen wurden wir Gynäkologen, durch einen internistischen Oberarzt geschult, auf was wir achten müssen ( Laborwerte, Risikofaktoren ect) falls wir auch zur Versorgung der Coronakranken abgezogen werden. Auch er meinte: "Im Moment ist die Lage (noch?) sehr entspannt." 

Im letzten Post schrieb ich von der Ruhe vor dem Sturm. Im Moment kommt es mir so vor, als säßen wir alle in der Arche mit unseren gehorteten Klopapierrollen, aber der Tsunami kommt gar nicht. Das sind meine Gedanken heute. Bin gespannt was ich in ein paar Tagen darüber denke. Es ist gerade so angenehm, dass der Panikkloß aus dem Herzen weg ist!
Ich will keine Fakenews propagandieren oder irgendwelche politschen Maßnahmen kritisieren! Auf gar keinen Fall. Ich möchte nur für mich meine Gedanken festhalten, weil ich es interessant finde, wie die sich täglich wandeln. 


Die Stille vor dem Sturm.

Samstag 21.03. 2020  19.741 Infizierte 56 Tote. 


Es ist 19:07 Uhr. Um kurz vor sieben öffnete ich die Balkontür zur Straße hin um zu lauschen, ob wirklich geklatscht wird, wie bei Facebook angekündigt wurde, für alle die noch arbeiten müssen.Stille. Um 2 Minuten nach 7 dann ein vereinzeltes, zögerliches Klatschen 5 Häuser entfernt von einer einzelnen Person. Kurz überlege ich, ob ich mitmachen soll, aber dann würde ich ja quasi für mich selbst klatschen und das kommt mir doch etwas selbstverliebt vor. Nach wenigen Sekunden verhallt das Klatschen in der Stille der leer gefegten Straßen. Also ziehe ich noch einmal an meiner Zigarette und geh wieder rein.Ich fühle mich auch nicht so, als hätte ich Applaus verdient. Ich hatte heute meinen planmäßigen 12 Stunden Samstagsdienst im Krankenhaus und durfte heute zum ersten Mal seit Monaten 3 Stunden früher Schluss machen, weil nichts los war. Wir haben das OP Programm seit Montag komplett runter gefahren damit notfalls auch im OP beatmungspflichtige Patienten versorgt werden können und deshalb ist die Station aktuell fast leer. Es herrscht absolutes Besuchsverbot. Angehörige müssen die Wechselkleidung für ihre Lieben vorm Haupteingang abstellen. Dann werden sie durch den Transportdienst zum Patienten gebracht. Am Haupteingang steht jetzt die Security und lässt nur Patienten und Mitarbeiter mit Ausweis rein. In die Cafeteria darf nur noch Personal und jeder zweite Stuhl ist mit einem Klebeband abgesperrt.  In die Notaufnahme trauen sich meißtens nur richtig Kranke. Also aktuell eigentlich ganz angenehmes Arbeiten ehrlich gesagt.




 Im Coronatrakt lagen heute 3 mit Verdacht auf, und 2 gesicherte Fälle. Auf der leer geräumten Intensivstation ist aktuell 1 Patient mit Corona an der Beatmungsmaschine. Allerdings wurde gestern Abend die erste schwangere Patientin mit Fieber und trockenem Husten als Verdachtsfall aufgenommen. Bei der Visite musste ich das erste mal die Coronakluft überziehen. Das Fieber der Patientin war weg, sie fragte ob sie nicht nach Hause dürfe, obwohl das Testergebnis noch ausstand. Ich entließ sie nach einer Nacht in die häusliche Quarantäne. Bin gespannt was rauskommt. Komisch fand ich es nach nur 1 Minute Patientenkontakt den teuren und so rar gewordenen FFP 2 Mundschutz in die Tonne zu kloppen. Als ich dann noch ein paar Rückfragen an die Patientin bezüglich ihrer Entlassung hatte, entschied ich mich lieber jedes mal auf ihrem Telefon neben ihrem Bett anzurufen, als die teure Schutzkleidung  zu verschwenden. Die Kluft muss übrigens neuerdings versteckt werden und steht nicht wie sonst üblich vor dem betroffenen Zimmer, weil sie sonst sofort geklaut werden würde. Krasse Zeiten. Heute gab es für alle Stationen säckeweise Popcorn vom benachbarten Kino, welches ab heute schließen muss. Gestern hatte der Blumenladen um die Ecke bereits seine Waren bei uns im Foyer abgeladen, zum kostenlosen Mitnehmen für alle Mitarbeiter. Der Applaus gilt aktuell vor allen Dingen den Kassierer/innen, Warenauffüller/innen, Kioskbesitzer/innen, Lieferdiensten und allen Anderen die immer noch arbeiten. Wobei eigentlich haben wir auch Lob verdient, dass wir immer noch täglich zur Arbeit gehen und uns der Ansteckungsgefahr aussetzen. O-Ton der Geschäftsführung: "Sie werden eh alle erkranken, also lassen sie sich auch nicht testen, wenn der Kollege positiv sein sollte. Sonst können wir hier nächste Woche dicht machen."Okay.Ich ziehe daraus die Konsequenz, nach der Arbeit in völliger Isolation zu leben. Der obligatorische Osterbesuch bei meinen vorerkrankten Eltern fällt vorerst flach. Selbst daran zu erkranken macht mir eigentlich keine Sorgen. Wobei? Zähl ich vielleicht mit meinen 7 Packyears bereits zur Risikogruppe? Das werden die Statistiken zeigen. 



Ich bemerke bereits seit Anfang der Woche Veränderungen an meiner Psyche. Ich rauche Kette, und trinke abends gerne ein bis fünf Gläser Wein zum runterkommen. Ich wache jede Nacht auf und muss sofort im Internet die neusten Zahlen und Meldungen nachlesen. Außerdem scheiße ich aktuell auf meine Diät und bestelle jeden Abend hochkalorische Nahrung.  Ich bin mir noch unschlüssig, ob es dreist ist dem armen Lieferdienst zuzumuten für mich rauszufahren oder ob die sich gerade freuen über die Umsätze, weil ja kein Mensch mehr essen geht…?Auf der Nachhausefahrt mit dem Rad sind mir schon einige Male vereinzelt Tränen rausgeflutscht, weil ich es so beklemmend finde durch die leere Stadt zu fahren. Ja ich habe Angst. Angst vor dem was kommt. Auch vor dem was nach dem Virus kommt. Es ist gerade die Stille vor dem Tsunami. 




EDIT

5 Jahre hab ich nichts abgesondert aus Angst die ganze Sache fliegt mir irgendwann beruflich um die Ohren. Keine Ahnung wie das mit dem Layout und so noch funktioniert. Aber mir ist in diesen Zeiten aktuell wieder nach Schreiben, weil sich auch jeden Tag so viel ändert. Ich hoffe es unterhält vielleicht die Leute, die zu Hause im Homeoffice abhängen müssen. Ich bin mittlerweile Gynäkologin geworden und stehe kurz vorm Facharzt, also nix mit Chirurgie. Männerprobleme habe ich aber immer noch, sind mir aber aktuell ziemlich Wumpe. 


Reiß dich am Riemen!

Ich war an einem Punkt angelangt, an dem wahrscheinlich jeder Berufsanfänger früher oder später gelangt: Man wacht mittags auf, guckt in den Spiegel und denkt: „Wer ist dieser verkommene Stinker?“ Als Lola dann auch noch zu mir meinte „Anna du kannst nicht immer nur rummjammern, dass du fett geworden bist und ein Alkoholproblem hast um dir danach 5 Gänge vom Pizzabringedienst  und ne Pulle Wein alleine reinzupfeifen und  zu hoffen, dass deine Extensions und Wimpernverlängerungen von deiner Speckrolle ablenken. So läuft der Hase nicht.“ Anstatt zu sagen: „ Du hast Recht! Ab jetzt wird alles anders!“ antwortete ich: „ Verpiss dich sofort aus meiner Wohnung du… Arsch!“

Auf der Arbeit hagelte es Kritik von allen Seiten und die Freunde planten hinter meinem Rücken bereits eine Intervention wegen meiner neuen Liebe zu Mr. Alk Ohol. Als mich dann noch meine Most-hated-Kollegin ansprach: „Hey Anna du lachst gar nicht mehr, geht’s dir gut?“ hätte jeder normale Mensch gesagt: „Jo alles bestens und bei dir so?“ , aber natürlich antwortet Anna lieber lässig und wahrheitsgetreu: „Alle hassen mich hier! Ich mache alles falsch, mir macht das keinen Spaß mehr. Die eine Oberärztin redet sogar nicht mehr mit mir…“ und fing an zu heulen. Souverän. „Anna, wir haben ALLE das Gefühl, du stellst deine Freizeit (welche Freizeit meint die? Die 6h in denen ich schlafe, zwischen 2 Schichten?)  vor die Arbeit und dir fehlt einfach der Ehrgeiz. Außerdem rauchst du zu viel! Das fällt negativ auf, weil wir anderen alle nicht rauchen (Ihr seid ja auch lame). Häng dich doch jetzt mal richtig rein, dann wird das schon wieder.“  

 Und das gab den Ausschlag: Ich klatsch mir jetzt wieder die Nikotinpflaster drauf, was zur Folge hat, dass mein Rücken aussieht wie ein superinfizierter Pemphigus Vulgaris (Google mal wenn du dich traust), also auch nicht sonderlich zu meiner Attraktivität beiträgt. 



Wichtig ist: Wenn du auf der Arbeit den Streber mimen willst, musst du es auch möglichst krass raushängen lassen und in die Gesprächspausen am Konferenztable brüllen: „Hey falls noch Arbeit zu tun ist: Ich bleibe heute freiwillig länger Leude!“ und dich vergewissern, dass dein Chef, das auch gehört hat. Außerdem sollte man ein irre wirkendes „Mensch macht die Arbeit Spaß –Face“ aufsetzen und nebenbei raushängen lassen, dass man als Bettlektüre jetzt intensiv den „Frauenarzt“ durcharbeitet. Und es ist wirklich wie ein Wunder: Auf einmal begrüßen mich die Kollegen freundlich und Most-hated-Kollegin sagte letztens sogar (sodass es jeder hörte) „Man muss Anna jetzt schon richtig bremsen, sonst wohnt die nachher noch hier in der Klinik!“ Strike! Ich liebe es wenn ein Plan aufgeht. 

Lola gab mir diesen Tipp als ich in meiner Depriphase sagte: „Ich bin einfach noch nicht bereit erwachsen zu sein. Außerdem hasse ich Streber. Ich bin das einfach nicht.“ „Du musst ja auch kein Streber sein, sondern nur so tun als wärst du einer. Als wäre es eine Rolle die du spielst. Irgendwann wird man dann von ganz alleine zu dieser Rolle, ohne dass man es merkt.“ Und so war es auch. Ich beschränke meinen Alkoholkonsum jetzt nur noch auf ausgewählte Anlässe wie „Oh da ist ja noch eine angebrochene Weinflasche im Kühlschrank, wär doch schade wenn die verkommt..“ und habe mir ein 300 Euronen Sportoutfit bestellte als Anreiz für ausgiebige Fitness-Studio Besuche auf dem Weg zur Traumfigur. Auf der Arbeit dachte ich: „Falls das Outfit heute ankommt, gehe ich heute Abend auf jeden noch ins Fitti! Ich werde morgen bereits etwas geiler aussehen, juhuu!“ Nach 4 freiwilligen Überstunden kam ich nach Hause und natürlich war das Päckchen vom Versandhandel da. Shit. Erstmal anprobieren. Hm das sieht eher aus wie eine Schlafanzug , wenn man mal ehrlich ist… Das ist ein Zeichen! Also wurde der Traum von der Unterwäschenmodelfigur erstmal vertagt und ausgiebiger Abendschlaf abgehalten. Hallo? Ich habe gerade erst die Rolle des Strebers verinnerlicht, für die Rolle des Fitnessjaustes ist noch genug Zeit.

Was ich mit diesem Post sagen will: Egal wie scheiße es mal läuft, und bei mir lief es echt scheiße: Man kommt überall wieder raus, wenn man sich nur aufrafft. Manchmal fehlt einfach der gewisse Anstoß wie ehrliche Kritik von Freunden oder Kollegen. Ich war echt kurz davor zu kündigen und aufzugeben, und jetzt läuft wieder alles besser denn je und ich habe meinen Humor wieder gefunden. Der war nämlich echt längere Zeit abwesend, weshalb hier auch nichts zu lesen war Freunde. 


Wie ich so wurde wie ich jetzt bin.

Es gibt diese peinlichen Momente in jedem Leben, die man am liebsten Ungeschehen machen würde. Von diesen Momenten handelt dieser Blog.
Manchmal dauern diese Momente auch Jahre lang an und man fragt sich später, wenn man Fotos aus dieser Zeit sieht: Wer war diese Irre??? Wie konnte das passieren?

Wenn ich zurückblicke besteht der Großteil meines Lebens aus einer Aneinanderreihung dieser peinlichen Momente und je länger ich darüber nachdenke, machen uns diese Momente zu dem was wir sind.  Jeder sollte auf etwas zurück blicken können, von dem er denkt: Das passiert mir auf Keinsten noch einmal!

Ich habe glaub ich noch nie über meine zweite Beziehung geschrieben. Aus Scham vielleicht. Letztens saß ich mit Lola bei ner Pulle Wein zusammen und wir analysierten noch einmal diese krasse Zeit, als sie sagte: „Wieso schreibst du nicht mal darüber? Im Nachhinein ist das mega witzig!“ Ja. Im Nachhinein.

Ich hatte gerade eine zweijährige Affäre mit einem Typen hinter mir dessen Lieblingsspruch es war: „Ich kann dir nicht geben was du brauchst“ aber sich dennoch nicht zu schade war mich alle 3 Wochen zum Essen einzuladen, abzufüllen und mich danach nach allen Regeln der Kunst flachzulegen.

  Als mein Nachbar mich eines Tages fragte, ob ich nicht rüber kommen will. Ein Freund und er wären am Vortrinken und wollten noch auf ne Uniparty. Ich lag eigentlich schon im Pölter und verschwitzt von meinem Hanteltrainingmarathon (damit versuchte ich mich damals von der Affäre abzulenken und nahm 15kg ab. Hatte also auch was Gutes im Nachhinein) auf dem Sofa, doch ich dachte: Vielleicht ist das ja der Wink des Schicksals und der ominöse Freund ist mein Mr. Right? Und so war es auch. Wir hatten den gleichen kranken Humor und betranken uns gemeinsam bis ich von meinem Nachbarn nach Hause getragen werden musste. Dumm nur: Der Typ, nennen wir ihn Psycho, hatte eine Freundin, mit der er zusammen wohnte, aber mit der es ganz schlimm lief. Er wollte sich eigentlich trennen... Die übliche Leiher.

Ich war nicht richtig verknallt, genoss nur die Aufmerksamkeit, es kamen 3 Monate Semesterferien in denen ich was mit einem aus dem Freundeskreis anfing und eigentlich nicht mehr an Mr. Psycho dachte. Hallo der hatte ne Freundin? Und richtig heiß war er auch nicht.

 Wieder zurück im Unileben, trafen wir uns wieder. Er hatte sich angeblich getrennt und nach ein paar Dates waren wir auf einmal zusammen. Im Nachhinein würde ich sagen, es war aus Einsamkeit. Endlich wollte jemand mit mir zusammen sein und mich nicht nur alle 3 Wochen zum Essen ausführen. Bei unserem ersten Date zeigte er mir stolz seine Pärchenbude. Ich begutachtete das Ehebett und die niedliche Kitsch-Hafen-Urlaubs-Deko mit Holzfischen im Bad und Ihre Parfümsammlung. „Keine Sorge, sie ist nie da, und wir können leider beide nicht ausziehen, wegen Geld. Ich kann mir eine Wohnung alleine nicht leisten.“
 Aha. Die Eifersucht brodelte in mir und die Sprüche meiner Freundinnen ala  „Jeder der noch mit seiner Ex zusammenwohnt, hat irgendwann mal wieder was miteinander, bei dem und dem war es auch so!“ , halfen da nicht viel weiter. 
Aber ich wollte unbedingt festhalten an dieser Beziehung und blendete die Kritik aus und entfernte mich innerlich unbewusst von meinen Freunden, nach dem Motto: „Die sind doch bloß neidisch.“ 

 Trotzdem loderte in mir der Hass, wenn Herr Psycho nach Monaten immer noch nicht bei mir übernachten wollte, weil meine Matratze angeblich zu hart war, sodass ich den grinsenden Fisch von der Wand abriss und durch seine Pärchenbude schmiss (in der ich nie schlafen wollte, weil alles nach der anderen Tussi roch) mit den Worten: „ Dann bleib doch bei deiner Ex und werde glücklich mit all diesen häßlichen Fischpennern!“ 

Oh. So dramatisch kannte ich mich gar nicht. Irgendwie Latinamäßig. Nie war er es, der sich am nächsten Tag entschuldigte. Ich war es der die ganze Nacht vor seiner Haustür schlief, nachdem ich nach 1h Sturmklingeln aufgab. Mit jedem Streit sank mein Selbstbewusstsein, mein Freundeskreis schwand kopfschüttelnd dahin und meine Abhängigkeit zu ihm gewann an Größe.

  Es fing eigentlich schon nach 3 Monaten an krank zu werden. Ich ließ mich herab, ihn in seiner Pärchenbude zu besuchen, da er eine wichtige Hausarbeit zu schreiben hatte und ich am nächsten Tag für 3 Wochen nach Amerika fliegen sollte. Ich schluckte meine Eifersucht herunter, aber als er mir mitteilte, dass er nicht mit mir auf dem Sofa schlafen könnte (ich weigerte mich strikt in dem Ehebett zu pennen) , weil er darauf nicht schlafen könnte, rastete ich aus und ging nach einer dramatischen Szene wo der säuberlich neu aufgehängte Fischpenner wieder durch die Wohnung flog. Natürlich entschuldigte ich mich am nächsten Tag reumütig und flog versöhnt in die USA. In einem unserer täglichen 10 Minuten Telefonate, eröffnete er mir, dass seine Ex wieder eingezogen sei und fragte auch noch ob seine beste Freundin bei ihm übernachten dürfte. Wieder in Deutschland angekommen unterstellte er mir, ich hätte in Amerika einer Affäre gehabt und spielte tagelang den Beleidigten. Als ich mit meinen Mädels zum Oktoberfest fuhr, machte er per Telefon mit mir Schluss, weil ich auf einem Facebookbild meine Schleife links trug, wie die Singles. Das Big Boob mich verarscht hatte und meinte: „Die lassen nur noch Mädels mit Schleife links ins Festzelt“, glaubte er mir natürlich nicht. Irgenwann waren wir so weit, dass ich ihm sämtliche Typen auflisten musste, mit denen ich mal was hatte. Achja mein Facebookpasswort bräuchte er auch und das erste was er mit meinem alten Handy machte, welches ich im großzügig schenkte, war, alle gelöschten SMS wieder herzustellen und mich wegen irgendwelcher alten SMS an die ich mich mittlerweile nicht mehr erinnerte zur Rede zu stellen. Ich hatte in der Zeit mit dem Essensliebhaber sehr ausführlich Tagebuch geführt auf meinem Laptop. Er machte mir weiß, er bräuchte das Passwort um mir Vertrauen zu können und so gab ich es ihm. Im Streit schubste er mich so stark, dass ich hinfiel. Man sieht die Narbe vom Aufprall immer noch an meinem Rücken. Sieht kacke aus. Ich konnte 2 Wochen lang nicht liegen, was ihn nicht davon abhielt mich jeden Tag zum Sex aufzufordern. Wenn man sagte: „Dann platzt die Wunde am Rücken wieder auf,“ war das ein erneutes Indiz dafür, dass man heimlich an jemandem andern hing und der Terror ging von vorne los. Vor unserem ersten Pärchenurlaub machte er Schluss, weil ich es gewagt hatte, mit meiner Freundesclique zu meinem Lieblingsrestaurant in der Heimat zu gehen, und mein Exfreund, der mittlerweile glücklich in einer anderen Beziehung war mit von der Partie war. 300 Euro Anzahlung pro Person waren futsch. Als ich verzweifelt ins Telefon heulte: „Ich hab dich doch vorher gefragt ob das okay für dich ist und du hast ja gesagt!!“ War die Antwort: „Das war ein Test du Schlampe.“  Endlich kam ich zur Vernunft und dachte: Sei froh dass du den kranken Idiot los bist, kaufte mir neue Klamotten und fuhr Partymachen zu Lola. An dem Abend lernte ich Stefan kennen. Die Story dazu ist der Beginn dieses Blogs. Damals fand ich ihn richtig dämlich, ha so ändern sich die Dinge.  Zurück in der Studistadt entschuldigte sich der Psycho reumütig und ich schmolz dahin. Ich erzählte ihm die Sache mit Stefan und er verzieh mir gnädig. (Später stellte sich heraus, dass er in der Zeit wo ich mit meiner Clique essen war, was mit seiner besten Freundin hatte.) 

Wir machten einen Billig Urlaub in Frankreich als Entschädigung. Ich bezahlte alles, er hatte gerade keine Kohle und wollte es mir später zurückzahlen (achja er war auch noch spielsüchtig und zog mich mit in die Sucht). Nach dem Urlaub eröffnete er mir feierlich: Das Geld (c.a. 600 Euro) bekommst du nicht wieder, schließlich ist es deine Schuld, dass wir die Anzahlung verloren haben, hättest halt nicht mit deinem Ex essen gehen sollen.  Ich gab ihm insgeheim Recht.

Dann musste er vors Gericht. Er hatte 3 Monate keine Miete mehr gezahlt und ich sollte aussagen, dass er in der Zeit bei mir gewohnt hat und sein Ex-Schwiegervater ihn ja aus der Pärchenbude rausgeworfen hatte.  Der Witz an der Sache war der, dass er ja auch nach über einem Jahr nicht bei mir übernachten konnte, wegen der harten Matratze und er also keineswegs bei mir gewohnt hat, sondern einfach nur schön die Miete geprellt hat. Ich übte fleißig meine Falschaussage und wenn ich vorsichtig anmerkte: „was wenn das auffliegt und ich dann nie Arzt werden kann wegen Meineid?“ „ Das ist wieder so typisch für dich! Du denkst nur an dich“, schrie er zähnefletschend und knallte die Tür. In meinem besten Streberanzug erschien ich zittrig vor Gericht und musste zum Glück nicht aussagen, weil die Parteien sich gütlich geeinigt hatten ( Das hieß Herr Psychoex musste die ausstehende Miete bezahlen).  

 Als wir abends feierlich auf seinen „Sieg“ anstießen, besaß er noch die Dreistigkeit zu Sagen: „Hast du die Richterin gesehen? Die war vielleicht heiß!“. Das brachte das Fass zum Überlaufen und ich machte einen dramatischen Abgang aus dem Restaurant. Er lief mir nach und warf meine Einkaufstüten theatralisch durch den Bus, weil ich ihn ignorierte, sodass mich schon andere Mitfahrer bestürzt fragten: „Alles in Ordnung? Sollen wir Hilfe rufen?“ „Nö wieso? Das ist mein Freund.“ Und schon war wieder alles gut.
 
Wie wird man so eine graue Maus die sich einreden lässt man wär eine Schlampe? Ich habe Frauen nie verstanden, die von ihrem Mann geschlagen werden und ihm immer wieder verzeihen. Ich kann es nicht beschreiben, man ist einfach auf einmal drin in der Sache. Gefangen. Im Zwiespalt sich von der krankmachenden Person zu trennen und endlich wieder machen zu können was man will, aber dann alleine zu sein, als sich alle Freunde schon von einem abgewandt zu haben scheinen.  Was soll man dann jeden Abend machen außer popeln?

Letztendlich geling mir der Absprung als mein Tourguide aus dem Amerikaurlaub fragte, ob er mich an meinem Geburtstag besuchen dürfe, mit Übernachtung natürlich, er sei gerade auf Deutschlandreise. Ich erzählte meinem damaligen Freund ängstlich davon und sagte: „Du wärst doch auch die ganze Zeit dabei und das ist wirklich nur ein Kumpel!“ Natürlich rastete er aus. Anstatt wieder zu heulen und ihn um Vergebung für diese dämliche Bitte anzuflehen, stand ich ganz ruhig auf und sagte fest: „Du gehst jetzt bitte. Es ist aus. Ich kann das nicht mehr“ und setzte mich an meinen PC und spielte konzentriert Chefville. 

Psycho kam langsam und grinsend auf mich zu und knallte mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Ich fing an zu Weinen vor Schrecken und nahm einen Stuhl und scheuchte ihn damit aus der Wohnung.

 Danach war ich ganz klar. Keine Trauer darüber, dass es jetzt vorbei ist, sondern eine ungeheime Erleichterung, etwas so Schweres los geworden zu sein. Er versuchte es noch mit Anrufen und Nachrichten mich umzustimmen. Ich hatte den tollsten Geburtstag mit dem Tourguide der mir und meinen Freunden mit der Gitarre ein Lifekonzert gab. Und er war wirklich nur ein Kumpel. Meine Liebsten waren gekommen und die Zeit als Furie war vergessen. Sie waren froh und verziehen mir meine Wutausbrüche, wenn es jemand gewagt hatte meine Beziehung zu kritisieren. Und langsam kam die Erkenntnis: Ich bin gar nicht so kacke wie er immer gesagt hat. Und eine Schlampe war ich auch nicht. Ich habe ihn in der schlimmen Zeit nie betrogen, außer das mit Stefan, aber da waren wir getrennt und ich wollte mich dadurch innerlich von ihm lösen. Und alleine war ich erst recht nicht!

Und so wurde ich zum selbstironischen Freak der ich jetzt bin. Wenn mir jetzt ein Typ blöd kommt, verstecke ich mich nicht in Selbstmitleid und versuche zu gefallen. Meißtens  jedenfalls. Vielleicht bin ich auch deshalb so lange Single, weil ich Angst habe wieder in sowas gefangen zu sein. Ich mache mich viel lieber über die Typen in meinem Blog lustig und liege Sonntags alleine im Bett. Und von nun an schlägt mich ein Typ nur noch, wenn ich ihn ausdrücklich und nackt vor ihm liegend darum bitte.

Okay so witzig war die Story jetzt nicht. Aber vielleicht kann die ein oder andere was daraus lernen.  Außerdem lag sie mir schon lange auf dem Herzen. Musste beim Schreiben eine Pulle Wein runterkippen und 10 Ziggies wegatment.
Ich bin keine Bloggerin die über Ihre Psychoprobleme schreiben will um Mitleid zu erregen. Ich finds wieder nur selbstironisch, dass mir so etwas passiert ist, wo doch immer alle denken ich sei so taff und selbstbewusst. Aber letztendlich bin ich nur so geworden, weil ich weiß wie es anders ist. Und deshalb bereue ich nichts. Vielmehr bin ich froh über all die Freunde die mir erhalten geblieben sind auch wenn ich gesagt habe: Ich kann nicht mit zum Oktoberfest, Psychos Oma ist gestorben, wir müssen zur Beerdigung, obwohl er es mir einfach nur verboten hat – Ihr seid die Größten! Ich liebe euch ihr kleinen Racker. Und die vielen Anekdoten ala „Wisst ihr noch als Anna mit dem Idioten zusammen war und das und das gemacht hat!?Muhahaha“ , nehme ich gerne in Kauf und lache lauthals mit.

Von allen gehasst.

Sei du selbst, es sei denn dein Selbst ist kacke, hab ich mal gesagt. Und was soll man machen, wenn man erkennt, dass das Selbst temporär einfach mal mega scheiße geworden ist? Was ist los mit mir? Wie habe ich es geschafft von mindestens 9 Leuten (habe gerade mal nach gezählt) gehasst zu werden und auf der letzten Familienfeier als Topgespräch Number One zu enden als „Anna die große Enttäuschung?“ Und warum kränkt es einen so, wenn andere Menschen einen einfach nicht (mehr)  mögen?

Angefangen hat alles auf dieser Hochzeit. „Anna, seit wann rauchst du denn?“, fragte meine Oma mich entgeistert. 
„Seit 2 Jahren, wieso?“
 „Das musst du aber bald mal wieder aufhören.“
 „Jo mach ich. Spätestens wenn irgendwann mal Nachwuchs geplant ist.“ 
 „Von wem soll der denn kommen? Vom heiligen Geist?“ 
Und später setzt sich meine Langzeit-Harz-4-Bezieherin-Tante neben Schwester Lola und sagt:
 „Ich habe gerad von der RIESEN Enttäuschung gehört.“
 „Was denn?“
 „Anna macht keinen Doktor.“

 Hallo geht’s noch? Wieso Riesenenttäuschung? Was ist mit meinen Erfolgen im Blockflötenspielen vor 10 Jahren? Oder mit meinem 1er Abi? Und nicht zu vergessen meinem abgeschlossenen Medizinstudium? Und ich hab nen Job mit Festanstellung?! Was hast du überhaupt erreicht in deinem Leben, außer dich 4 mal schwängern zu lassen, denke ich mir, und sage nix. Ich zünde mir lieber noch eine Zigarette an und ernte abschätzige Blicke meines halb-dementen Opas. 

Und dann letztens: Nach 3 Wochen durcharbeiten, habe ich es gewagt 8 meiner Freunde in meine neue Honori Wohnung einzuladen zum gemütlichen Vortrinken. Meinen Nachbarn Wilfried hab ich sogar vorher höflich um Erlaubnis gefragt. 
„Es kommen heute ein paar Leute zu Besuch. Wenns zu laut werden sollte, sag einfach Bescheid.“ „Mach du mal Party! Du bist noch jung!“, sagte er zunächst freundlich.
 Und ich dachte noch: Geil, da kann der Abend nur super werden! Ich hab Wilfried´s Segen! Den anderen Rammel-Nachbarn frag ich gar nicht erst um Erlaubnis. Hallo? Der bereitet mir jede Nacht schlaflose Stunden!?

Mein Kumpel Josus kündigte an: „ Ich bring noch nen Studien Kollegen mit!“ 
„Ist der single und heiß?“
 „Weder noch.“ 
„Mh.“ 

Ach egal. Ich hatte mich schließlich nicht Lumpen lassen und für 100 Euro Alk und Snacks besorgt. Was macht da eine Person mehr oder weniger aus? Nach 10 Minuten, als der Großteil eingetroffen war, verschwand der Jura-Jaust-Kollege im Treppenhaus. Als er verstohlen wieder rein kam, fragte Josus: „Jo, hast du mit deiner Freundin telefoniert?“
 „Jap. Hab sie weggedrückt.“ 
Und ich dachte noch so: „ Was fürn Unsympath.“

Okay ich geb zu: Die Anfeuergesänge beim Flipcupturnier sind etwas ausgeartet. Es war auch nicht klug von Josus alle Fenster aufzureißen mit der Begründung: „Borr Anna lüftest du hier eigentlich auch mal?“. Und dass wir das Crushed Ice mit dem Hammer hergestellt haben, war auch irgendwie nicht so klug, ganz zu schweigen von „Das schlimmste ist wenn das Bier alle is“ – von den Kassierern auf volle Pulle zu drehen. Irgendwann klingelte es an der Tür. 
Tobi machte auf. „Anna… die Bullen.“
„Oh.“

 „Verarscht!!! Es ist nur Buzzer, der aus dem Thailandurlaub wieder da ist.“ 
„Alter, schock mich nie wieder so!“ 

Da betrat Buzzer mit gerümpfter Nase meine Honori Wohnung. „Anna. Irgendwer hat glaube ich ins Treppenhaus gereiert.“ What??? Nach minutenlangen betretenem Schweigen, outete sich der Juraidiot. Von wegen mit seiner Freundin telefoniert.  Erstmal schön übers Geländer gespeit, sodass seine Salamibröckchen auf allen Etagen, meines mit Teppich gesäumten Treppenhauses drappiert waren. Na toll. Wenigstens war er so gnädig, anzubieten es selbst weg zumachen. "Ich hab auch ne Toilette Babe, melde dich doch lieber vorher bei gewissen Bedürfnissen. Zum Beispiel wenn du Stuhlgang loswerden willst", keifte ich verärgert.

 Als er wieder reinkam sagte er nur: „Ein Gentleman genießt und schweigt.“ Und ich dachte mir so: Was für ein Wichser.
Verzweifelt stellte ich meine Duftstäbchen ins Treppenhaus und riss weitere Fenster auf um den Kotzgeruch zu vertreiben. Um halb 1 machten wir uns dann vom Acker. Man muss betonen, wir waren gerade mal 3 Stunden in Action. Trotzdem hatte ich die ganze Zeit im Club das miese Gefühl: Anna das war heute nicht gut.
Am nächsten Tag wachte ich auf und dieser Zettel prangerte an meiner Tür:
Man beachte die Rechtschreibung.




Oh. Wieder einer mehr auf der Welt der mich abgrundtief hasst. Und es lief gerade so gut.
Als ich mich gerade zum Katermittagsschlaf hinlegte, hörte ich durchs Fenster, wie Wilfried sich mit der Chefin des Bonzenrestaurants von gegenüber (und ich war so stolz, dass ich mit der per du bin und dort gelegentlich mein Feierabend Kölsch an der Theke trinken darf) meine Feierlichkeit unterhielt. „Borr ich war so sauer auf Anna gestern!!“ „ Ich klingel da demnächst nochmal, darauf kannst du dich gefasst machen.“ Okay das war zu viel für mein Schamgefühl und ich hielt mir die Ohren zu. Dummerweise hatte der Juravollidiot auch noch einen Salamibrocken im Briefkastenfach von Wilfried vergessen wegzumachen. Ich hoffe nur ich hab es vor ihm bemerkt, sonst Gnade mir Gott.

Heute hatte ich dann mein „Ende-der-Probe-Zeit-Gespräch“ beim Chef: „ Also Frau Fähre, im Grunde genommen sind wir zufrieden mit Ihnen. Aber einige Kollegen haben sich beschwert, dass sie letztens einmal nicht länger geblieben sind um was zu lernen. Es fehlt ihnen anscheinend an Ehrgeiz und Biss!“ Oh. Das saß. Am liebsten hätte ich ihn auf meine 60 Überstunden hingewiesen, und dass ich doch schon jedes Wochenende Dienst schiebe, und dass ich dann manchmal einfach gerne pünktlich gehe. Aber nein. Vielmehr überlegte ich: Welcher Penner hat das gesagt, als der Chef fragte: „Wie findet ihr die Fähre?“ Dann füllte er noch so nen Fragenbogen mit verschiedenen Kategorien über mich aus. Bei christlich/ethische Kompetenzen, sagte er: „ Da können sie sich ne Note aussuchen.“
 „ Dann nehm ich die 1.“ 
   Daraufhin fragte er aufeinmal, wie ich den Kollegen Falko finde, denn es hätten sich mehrere Patientinnen über seinen unfreundlichen Tonfall beschwert. „Ich komme gut mit ihm zu Recht“, war meine Antwort. Hallo? Ich zieh doch hier nicht über meine Kollegen ab, vorm Chef. Dazu bin ich viel zu christlich und ethisch. Ba wie mich das ankotzt. Letztendlich schnitt ich in meiner Probezeit mit der Note 2 ab, was ja voll okay ist, aber dieses Anschwärzen von meinen Kollegen wurmt mich einfach. Ich weiß genau wer das war.

So das ist der Stand der Dinge. Anna Fähre eckt an, und wird mitunter gehasst. Es hassen mich noch mehr Leute, ne Stefan?  Aber der Post ist schon lang genug. Man könnte jetzt resignieren und heulen und sich grundlos betrinken, oder einfach sagen: Hey ab morgen wird alles besser: Ich häng mich ins Zeug, bin geräuschlos und geruchsneutral in der Wohnung und bleibe freiwillich länger auf der Arbeit um nach ner 72 Stunden Woche noch was zusätzlich zu lernen. Letztlich hab ich mich für Ersteres entschieden. Darf ich Vorstellen: Anna der Hass!

Viel Lärm um nix.

Ich bin wieder da Leude. Sorry brauchte mal ne kurze Pause von Allem. Aber hey, auf den neuen Twillight Teil musstet ihr damals auch über nen Jahr warten! Was sind da schon 2 Monate Funkstille von Anna Fähres Popel Blog? Ich hab keinen einzigen Follower verloren (sogar noch 3 auf Twitter hinzugewonnen haha)  – Super ich liebe euch!

In der Nacht wache ich mit Herzrasen auf: Irgendwo schreit eine Frau in regelmäßigen Abständen. Ist da jemand in der akuten Austreibungsperiode und ich werd gleich zur Geburt gerufen? Ich blicke mich um und sehe stapelweise Pizzakartons und eine traurig verwelkte Zimmerpflanze. Ach nee das ist nur mein Nachbar beim allnächtlichen Bumsen und ich befinde mich ausnahmsweise mal nicht im Dienstzimmer sondern in meinem Eigenheim. Den extatischen Schreien der Ische nach zu urteilen, muss ers echt drauf haben.

Morgens wache ich wie gerädert auf. Die Rammelgeräusche meines Übermieters lassen mich jedes Mal panisch aufwachen, weil ich denke ein Erdbeben sei ausgebrochen. Total geil wenn du eh nur 5 Stunden zu pennen hast. Ich sollte ihn mal höflich fragen ob er so Filzstopper unter sein Bett kleben könnte.
 Vor der Arbeit erstmal 4 Kippen weginhalieren, weil man nie weiß wann man Zeit für die nächste hat und sich mit möglichst viel Kaffee voll ballern. Dazu höre ich „Einfach lieb ficken“  von Sofaplanet auf voller Lautstärke, als Rache für meine Nachbarn und singe unter der Dusche lauthals mit.
Wenn ich das Krankenhaus betrete, grüßt mich schon der nette Herr an der Pforte: „Schon wieder hier? Haben Sie eigentlich auch mal frei?“ „Nö.“ Und mit dem Kittel schlüpfe ich in die Rolle einer verantwortungsvollen Person. Wo werde ich heute wohl eingeteilt werden? Ruhige Kugel auf der Wöchnerinnenstation schieben, wo mich die Schwestern mittlerweile wie ihre Tochter lieben und mit „Kind du musst erstmal was essen, hier hast du etwas Schokolade“ begrüßen, welche ich aus Höflichkeit immer in meinem Kittel verschwinden lasse (ich hasse Süßes) und murmle „Bin im Stress, ess ich gleich.“ Nur um sie irgendwann unauffällig zu entsorgen.
Oder werde ich in der Hölle auf Erden, dem Kreissaal, landen? Da haste im 12 Stunden Dienst echt keine (Raucher-) Pause und wirst die ganze Zeit hektisch belabert: „Gleich sind 2 Plazenta praevias mit aktuell wasserfallartiger Blutung angekündigt, kommen mit der Rettung, bereite schon mal alles für die Not OP vor!!!!“ Und während ich das alles panisch versuche zu organizen dass die Blutkonserven pünktlich gekreuzt vorliegen und das OP Team und die Kinderärzte informiert werden, schreit mich eine hysterische Patientin an, warum sie jetzt schon 20 Minuten auf nen Arzt warten muss!? Dann muss man dieser höflich verklickern, dass gerade 2 Notfälle im Anmarsch sind, wo es um  Leben um Tod geht und ihr Scheidenpilz  sich da leider etwas gedulden muss. Hat sie leider kein Verständnis für und droht mit dem Anwalt.
Die eine angekündigte Blutung stellt sich dann als winziger Bluttropfen in der Unterbuchse heraus, der mir auch noch stolz gezeigt wird. Trotzdem gucke ich mit dem Ultraschall nach, ob das Kind noch lebt und ob es zeitgerecht entwickelt ist, während 10 aufgeregte Angehörige um mich herumtanzen und fragen: „Baby gut? Baby gut?“ und zu meiner Riesenfreude schlägt das Herz kräftig. „Baby alles gut!“ teile ich fachmännisch mit.
 Als das geklärt ist brüllt die freudige Horde: „Kannst du gucken: Junge oder Mädchen?“ und man denkt sich „Alter ich dachte grad: Hauptsache das Kind lebt und war froh dass ich alle wichtigen Parameter darstellen konnte. Keine Ahnung wie ein Pimmel im Ultraschall aussieht, dafür ist der normale Frauenarzt doch da, dass der das in Ruhe nachlugt, und nicht ich, wenn hier eh schon die Hütte brennt.“ Und sage ruhig: „Kann ich gerade nicht sehen, der kleine Fratz hat die Beine übernander. Also alles gut und das nächste Mal sehen wir uns hoffentlich zur Geburt.“ Und Zack zieht die muntere Truppe wieder von dannen, die Schwangere die eben noch mit Blaulicht und dramatisch verzehrtem Gesicht angeliefert wurde, hüpft beherzt von der Liege und tanzt aus dem Raum. Yeah.

 Sowas hat man da im Minutentakt. Ein Seiltanz zwischen Lapalien und wirklich krassen Sachen wo du dir vor Angst in die Hose scheißt. Aber das ist vielleicht auch gerade das Geile an meinem Job. Immer einsatzbereit sein für neue Action. Wer braucht da noch Chirurgie?
 Geil sind auch die 3000 Ocken, die am Ende des Monats auf dem Konto landen. Was macht man mit dem vielen Geld? Erstmal einen langersehnten Kindheitstraum erfüllen: Lange Haare. Also ließ ich mir 60cm  indisches Echthaar im Wert einer kompletten Monatsmiete auf den Kopf klatschen und seh jetzt aus wie eine Barbie. Juhuu!



Das traurige ist echt, das man nach der Arbeit so kaputt ist und sein ganzes Geld beim Onlineshoppen aus dem Fenster schmeißt für Dinge, an denen man sich vor lauter Stress eh nicht erfreuen kann (Zum Beispiel erstrahlt mein Badezimmer jetzt in einer hochwertigen „Dom-Rep“- Optik).
 Meine Honori Altbau Bude sieht mittlerweile aus wie ein Rumpelkammer, und meine Zimmerbepflanzung ist vertrocknet wie die Mumu einer 80 jährigen und in der Mitte verfault, weil ich immer noch die Hoffnung hatte, wenn man das verdörrte Gestrüpp nur noch einmal ordentlich wässert wird das schon wieder. Es lebe die Plastikblume. Und die nächste Investition wird ein gut aussehender Putzmann sein, der oberkörperfrei meine Wohnung säubert, während ich mit Lieferfraß auf dem Bett dinniere. Ich werde berichten. Oder Schalldämpfung fürs Schlafzimmer. Mal gucken.

Merke: Safety first.

Ich nehm immer Blut ab ohne Handschuhe. Weil man sonst einfach die wabbelige Vene nicht richtig spürt und daneben sticht. Ist dann peinlich für einen selber und unangenehm für den Patienten. Gestern hab ich nen Liter Fruchtwasser vermischt mit Blut beim Kaiserschnitt ins Gesicht bekommen, als die Oberärztin auf den offenen Bauch gehauen hat. Als ich nach der OP zur Patientin gegangen bin, um ihr zu ihrem neuen Schreihals zu Gratulieren hat sie geschrien als würd Graf Dracula himself ihr gegenüberstehen. Aber ich fands geil. Hätt am liebsten nen Selfie für euch geschossen.
Lola meinte gestern noch zu mir: „Hast du keine Angst dir Aids einzufangen oder so?“ „Nö. Schwangere haben doch eh meistens nichts.“


Also heute wieder munter Blut im Kreissaal abgenommen, ohne Handschuhe. Dass mir das Blut dabei jedes Mal über die Hände läuft? Who cares. Als ich also gerade mit blutverschmierten Händen am Zugang legen war, kam eine Hebamme panisch in den Raum: „Die Patientin hat übrigens Hepatitis C!“ Oh. Da war das Ganze dann doch nicht mehr so geil. Meine Hände sind nämlich durch meine Desinfektionsmittelallergie ziemlich offen und entzündet. „Geh mal lieber in die Notaufnahme und lass das checken, ob du dich jetzt angesteckt hast.“ Jo – wird schon nix passiert sein. Aber als ich dann so alleine im Fahrstuhl runter gefahren bin kam die Panik: Was wenn du dir das jetzt echt eingefangen hast? Am Anfang deiner „Karriere“? Dann ist deine Leber für immer im Arsch. Nix mehr mit Weinabenden und ungeschützten Verkehr. Also erst mal panisch die Tränen unterdrückt. Kommt nicht so gut wenn ein heulender Arzt durchs Krankenhaus taumelt, deshalb hab ich mich in der Notaufnahme erst mal hinter so ner Plastikpalme versteckt bis ich mich wieder im Griff hatte. Die haben da übrigens überall Kameras in der ZNA, ist mir dann später aufgefallen. Bei meinem Glück hab ich mich wahrscheinlich genau unter so eine gekauert.

 Dann kam das Beste: Nachdem ich ne halbe Stunde im Wartebereich sitzen musste, hab ich unsympathisch darauf hingewiesen, dass ich gerade alleine für den Kreissaal zuständig bin und mehrere Notfälle auf mich warten ( was nicht der Wahrheit entsprach, ich hatte einfach keine Lust meine Mittagspause in der Notaufnahme zu verbringen und die Mensa machte in 5 Minuten zu), als die Schwester sagte: „Der Arzt dort ist für Sie zuständig.“ Und da stand er: Der Unsympath den ich letztes Wochenende im Club angepöbelt hatte, weil er meine PJ Freundin hat abblitzen lassen. Super Aktion Anna.
Aber wie wir halt so sind, überspielte er es lässig als hätten wir uns noch nie vorher gesehen, nahm mir souverän das Blut ab und gab mir Tipps fürs weitere Procedere. Meine erste Sorge war natürlich: Hoffentlich sind meine Leberwerte nicht erhöht, dann geht das im ganzen Krankenhaus rumm. Also stalkte ich alle 5 Minuten meine Laborergebnisse im PC. Dann die Erleichterung: Meine Leberwerte sind noch untere Norm. Ob ich mich angesteckt habe weiß man erst in 6 Monaten. YOLO.


Ein kaiserlicher Einschnitt.

So, komme gerade von meinem ersten Wochenenddienst. Dieses Gefühl, abgekämpft nach Hause zu kommen, nach 12h Maloche, und einem plötzlich einfällt: Gleich musst du ja schon wieder dahin, ist echt Bombe. Wie soll man da noch Diät halten, sich sportlich betätigen oder seine Nägel lackieren? Lieber schnell die TK Pizza reinschieben und danach ab in die Poofe. Klamotten ausziehen wird auch überbewertet.  Habe gerade ernsthaft überlegt, ob es dekadent ist, wöchentlich den Bofrostmann antanzen zu lassen und wie teuer wohl eine Putzfrau wäre.

Echt krass was man so in 6 Wochen alles lernen kann. Letzte Woche hab ich meinen ersten Kaiserschnitt operieren dürfen. Der erste Schnitt in die intakte Haut ist die größte Überwindung:

"Also wo soll ich jetzt nochmal Schneiden?"

 "Von hier bis hier."

"Hier?"

"Ja."

"Also hier jetzt?"

"Jahhaa!"


 Nach 2 Minuten Vergewissern, platzte meiner Oberärztin der Geduldsfaden und packte entnervt  meine Skalpellhand und schnitt ins Fleisch. In etwa so, wenn die Mama, als man klein war, die unbeholfene Wachsmalstifthand ergreift, ein an Monet-gleichendes Gemälde auf das Blatt Papier zaubert und danach sagt: "Das hast du ja super alleine gemalt!"  Die größte Freude war dann noch, dass mein erstes eigenes Kaiserschnittkind auch noch nach mir benannt wurde. Das muss doch ein gutes Omen sein! Meine OA sagte dann am Ende anerkennend: "Als du deinen Tattrigen am Anfang erst mal überwunden hast, wars richtig gut! Super gemacht!"
Nach seiner ersten OP fühlt man sich den Rest des Tages wie ein nobelpreistragender Gorilla und nervt alle die es nicht wissen wollen mit seinem Erfolg. Zur Strafe muss man dann am Tag später nen Kuchen mit zur Arbeit bringen. Alle so: "Ich will Schokomuffins mit Stücken! Nein Obst-Sahnetorte! Ach nein, du kannst natürlich machen was du möchtest, Anna."
"Geil dann mach ich Käsestullen. Bis morgen Leude!"

Was gibts sonst Neues? Nachdem ich rausgefunden habe, dass mein Chef selbst raucht und meinen Team-Kollegen auf "frischer" Tat auf dem Raucherbalkon entdeckt hab, hab ich die Ausschlag fördernden Nikotinpflaster fröhlich von  der Brüstung geworfen und rauche alle 4 Stunden heimlich eine. Hat bestimmt noch keiner gemerkt.

Gerade versuchen meine Freunde, mich mit einem meiner Kumpel zu verkuppeln. Das ist super spaßig, wenn im Club alle 5 Minuten einer zu mir ankommt: "Kannst du jetzt nicht mal was machen mit dem? Ich hab mit Lola um ein 6 Pack gewettet, dass da heute was läuft!" Peinlich. Was macht Frau wandelnder Diätfehler in solchen Situationen? Erst mal zur Bar schleichen, sich unauffällig in fremden Gesprächsrunden verstecken und sämtliche Erdnussgläser (an die 20) unbemerkt leer essen. Danach einfach alleine den Polnischen machen und zum schönsten Ort meines derzeitigen Lebens fliehen: Das Bett.

Kitty hat mich gestern besucht! Wie schön es war, wie früher von ihr gedisst zu werden: "Wie peinlich ist bitte dein letzter Blogeintrag!Hahaha!" oder: " Was sind das hier für häßliche Glitzer-Absatz-Latschen?" "Man das sind meine neuen Bonzen Hausschuhe!" "Bah."
Hach wie hab ich den einzigen Menschen der noch ehrlicher ist als ich vermisst. Als sie dann vom Bahnhof wegfuhr, hatte ich doch ein bisschen Pipi inne Augen, denn da wurde mir zum ersten Mal bewusst: Scheiße, du siehst deine Studiums-Homies echt nicht mehr so oft im Jahr.




Friends with Benefits.

Vor 6 Stunden waren wir noch Freunde. So hatten wir es abgemacht. Mit uns zwei, das wird eh nie mehr als eine Bettgeschichte, also warum nicht einfach Freunde sein? Ich fühlte mich sehr erwachsen und vernünftig.

Jetzt, 2 Weinflaschen und 6 Stunden später, liegen wir nackt und verschwitzt nebeneinander. „Hat ja gut geklappt mit dem Freunde sein, blöde Kuh.“ „Dann sind wir halt Friends with Benefits Arschloch.“ „Sowas geht doch immer schlecht aus.“ – Also in den Filmen die ich kenne, heiraten die am Ende immer, aber egal. „Nicht dass du morgen wieder da sitzt und traurig bist.“ „Ich? Niemals.“ 


Während er so friedlich schläft liege ich wach. Aus Angst peinliche Geräusche von mir zu geben und starre ihn an. Das ist der Moment, wo ich alles erreicht habe. Traumjob, Traumwohnung und ER liegt neben mir. Eine Nacht ist alles so wie es sein soll. Ich weiß, dass es morgen vorbei sein wird. So ist es immer. Aber wenigstens kann ich sagen: Diese eine Nacht hatte ich alles. Stell dir vor du stirbst morgen? Dann war das der krönende Abschluss. Das ist mein Totschlagargument Number One. Wenn man aber mal realistisch ist, ist die Chance am nächsten Tag glücklich abzunippeln relativ gering in unserem Land. Viel wahrscheinlicher ist es doch, dass man noch 60 Jahre weiter vor sich hinlebt und mit den unangenehmen Konsequenzen des Nachgehens spontaner Versuchungen klar kommen muss.

Am nächsten Morgen gebe ich mich cool und unnahbar. „Du ich steh gerade sowas von mit beiden Beinen im Leben, mich wirft sowas nicht so schnell aus der Bahn.“ „Dann ist ja gut.“
 Ratet wer grade mit beiden Beinen neben der Bahn läuft? Nein so schlimm wie damals ist es nicht. Man hat sich innerlich drauf vorbereitet und nimmt es mit Fassung. Ein bitterer Nachgeschmack jedoch bleibt. Beim nächsten Mal mache ich alles besser. Erwachsen, vernünftig und groß. 


Anna Fähre is Back.


Vorwort:

Seit meinem letzten Post hab ich viel Zuspruch von euch Rackern erhalten, dass ich weiter schreiben soll. Danke dafür!

 Und ja: natürlich kann ich nicht aufhören meine crazy Gedankenflut zu teilen.  Und irgendwie macht es mich ja auch aus, über meine Fehler zu lachen, oder?

 Hatte letzte Woche auch schon einen Post verfasst über meine erste Arbeitszeit, aber dann meinte Lola beim Probelesen: „Manche Sachen sind ganz witzig, aber insgesamt eher lame.“
 Ja so ist das, wenn man die Selbstironie rauslässt um professionell zu wirken.
Deshalb werde ich das in Zukunft so halten: Ich mein ich bin jetzt Ärztin und viele meiner Leser wissen auch wo und es besteht immer die Gefahr, dass die denken: Scheiße hoffentlich lande ich nie bei der Irren auf der Liege und das ist in der Kleinstadt, wo ich gerade arbeite und wohne nicht gerade unwahrscheinlich. Ihr müsst wissen, dass ich vieles dramatischer darstelle als es ist und den Fokus immer auf die kleinen witzigen Momente im Leben lege. Denn niemand will lesen: Heute habe ich den perfekten Ultraschall hingelegt und das Baby hat tatsächlich nach Geburt so viel gewogen, wie ich ausgemessen hab! Da denkt man sich doch: Wen interessiert der Käse? Erstmal entliken.
Deshalb werde ich weiter über Lustiges aus dem Arbeits-, und Liebesleben berichten, aber heikle Sachen einfach weglassen. Außerdem werde ich alle Stories über Patienten abwandeln. Also: Alle Geschichten über Patienten, die folgen werden, sind frei erfunden und an die Situationskomik angepasst. Die Krankheitsbilder werden so umgewandelt, dass wenn einer von euch denkt: Moment: Meine Großcousine dritten Grades liegt doch gerade bei der auf Station und hat die gleiche Krankheit: Seit beruhigt, das ist dann nur Zufall.

Der eigentliche Post (nach Lolas Kritik bearbeitet. Hoffe jetzt geht er einiger Maßen. Vielleicht bin ich in den 4 Wochen in der Arbeitswelt auch einfach unlustig und langweilig geworden (= erwachsen)?:


Heftig, jetzt bin ich schon 4 Wochen am mallochen, wie schnell doch die Zeit vergeht.
In der ersten Woche fühlte ich mich noch nutzloser, als ein PJler, doch schon in der zweiten Woche hieß es: „ Alter was sind wir knapp besetzt! Anna traust du dir zu, die Station 3 alleine zu betreuen?“ „Klar!“ Nicht. Was ist nochmal Station 3?

 Und schwupps war ich auf einmal Stationsarzt von 30 Patientinnen.
Die Schwestern riefen mir vom Weiten „Frau Doktor, wir brauchen eine Unterschrift!“ (sag ich doch: Doktorarbeit ist überflüssig.) über den Flur entgegen und ich setzte ein wichtiges-Stationsarzt-Face auf, als würde ich gerade den Versailler Vertrag unterzeichnen. „Was unterschreib ich da eigentlich gerade Wichtiges?“ „Ein Rezept für eine Milchpumpe.“ Achso. Wie aufregend.
Weiter geht’s in mein persönliches Arztzimmer. „Was muss ich nochmal anklicken, wenn ich den Eisenstandard verordnen will?, fragte ich hilflos eine der Schwestern, nachdem ich bereits 30 Minuten verzweifelt auf den Bildschirm starrte und wild in der Gegend rumgeklickt hatte. „Keine Ahnung, das müssen Sie doch wissen!“ „Du kannst mich ruhig Anna nennen“, sagte ich großzügig.
„Ich bleib lieber beim Sie“, kam als Antwort und zack saß ich wieder alleine und verloren in meinem Büro. Oha. Schwesternliebling war ich also noch nicht.
Visite kann ja nicht so schwer sein! Frisch ans Werk und rein in die Zimmer. Einfach fragen wies so geht, wichtigtuerisch  auf dem Bauch rumdrücken und sagen: Morgen könnse nach Hause. Sind ja alle eigentlich nicht krank, sondern haben nur frisch entbunden? Denkste.
Die eine hatte den Katheter voll mit Blut, die andere Kältegefühl im Gesicht seit der Narkose, und die andere fragte mich, ob der seltene Geburtsfehler ihres Kindes schlimm sei. Puh. Fragen sie doch mal Google, ist wahrscheinlich keine gute Antwort. „Das kann mal so, mal so sein. Das ist ganz unterschiedlich. Wichtig ist doch, dass der Maus sonst nichts fehlt.“ Gut aus der A-Fähre gezogen, oder? Die Mutter war auf jeden Fall zufrieden mit der Antwort. Einfach immer selbstsicheres Auftreten, bei völliger Ahnungslosigkeit.
 Wenigstens wurd mir beim Mittagessen von allen anerkennend auf den Rücken geklopft und es hieß: „Du hast echt Eier inna Buchse mit der Station 3! Hut ab, du hast ja gerade alle Komplikationen da liegen, die es so gibt!“.

Also eigentlich hab ich eher was anderes in der Buchse, wenn ich nachts wach im Bett liege und bete, dass alle noch leben am nächsten Tag aber okaaaay! Bis jetzt sind aber alle wohl auf und die Siez-Schwester meinte am Freitag: „Sie machen sich gut, dafür, dass sie frisch von der Uni kommen.“

Juhuu. Danach stand ich erstmal vorm Spiegel in meinem Private-Arzt-Zimmer und sagte „Jahaa Sie machen sich überaus gut Frau Doktor.“ Und kam mir dabei etwas irre vor. Danach bin ich erstmal heftig gegen die Untersuchungslampe gerannt, in Anwesenheit einer Patientin. Da fühlt man sich einmal ein bisschen cool und macht es gleich wieder zu nichte.

 Am nächsten Tag dann um 7Uhr Chefvisite. Aufgeregt las ich meine Krackelnotizen von einem zerknitterten Zettel ab, verhaspelte mich bei jedem Wort  („24 Jährige Erstgravida, Nullipara in der 30+2. Schwangerschaftswoche mit Zervix Insuffizienz..“  – Alter wie soll man das auch fehlerfrei aufsagen, wenn einen 10 Augenpaare anstarren und das Nikotinpflaster am Rücken juckt wie Sau??!) als sich aus meiner Kitteltasche mehrmals das Handy mit Quizduellbenachrichtigungen meldete. Sehr professionell Anna.
Mein neuster bester Arbeitshomie ist natürlich die PJlerin. Die weiß leider auch mehr als ich, aber davon kann man ja profitieren. Blöd nur, dass ich deshalb manchmal noch gefragt werde: "Sie sind doch noch Studentin oder?" Ähm nee.

 Einmal gingen wir zu dritt nach der Arbeit noch auf nen Kaffee in die Stadt, während ich die ganze Zeit dachte: „Wann ham die endlich ihre Tassen leer, dass ich nach Hause, dieses juckende Nikotinpflaster abreißen  (hab Allergie dagegen) und mir ne Fluppe anmachen kann?!“ (die sollen nicht wissen, dass ich eigentlich Kettenraucher bin), als das Gespräch auf unser PJ in der Schweiz kam.
Maxi (Assistenzärztin) und ich fanden auf einmal heraus, dass wir beide Adonis kennen! „Also das war ja ein Asi! Der wurde bei uns rausgeschmissen, weil der sich an eine PJlerin rangeschmissen hat und die den dann beim Chef wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gemeldet hatte!!“, rief Maxi. „Widerlich sowas! Bah!“ antworte ich in einer schauspielerischen Glanzleistung und dachte insgeheim daran wie ich vollgestopft mit Kritharraki in seiner Badewanne lag und Panflötengedudel im Hintergrund lief. Wenn die wüssten.
Hab ich schon erzählt wie geil meine neue Altbauwohnung ist? (Ja. Mehrmals.) Die musste ich unbedingt meiner Arbeitskumpelin zeigen und dabei Bier trinken. Nennen wir sie Vera. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und outete mich: „Du ich rauche in meiner Freizeit leidenschaftlich Kette. Findest du mich jetzt unprofessionell?“ „Hach geil! Ich auch!“ antwortete sie und zog ne Schachtel Pall Mall aus der Tasche. Hihi. „Und wie machst du das auf der Arbeit?“ „Nikotinpflaster.“ „Hahaha und ich hab mich schon gewundert, was du da immer so rot umrandete Pflaster auf dem Rücken hast!? Ich dachte, dass wären vielleicht Morphinpflaster wegen Krebs gewesen und hatte voll Mitleid mit dir.“
 Wenn man schon so am Deeptalken ist, kann man sich ja auch noch wegen Adonis outen „HAHAHA Anna du bist so ne geile Sau!! Hammer! Hihihi!“ Da seht ihrs wieder: Mit Ehrlichkeit kann man meistens nur gewinnen. Und zwar ehrliche Freundschaften. Bringt doch nix, wenn man sich braver darstellt als man ist.
Ab dieser Woche bin ich im Kreissaal. Da geht die Post ab sag ich euch. Wollte letztens heimlich wegen allgemeiner Überforderung in eine stille Ecke huschen, damit niemand sieht, dass ich heule und lief tränenüberströmt in die Personalküche. Leider hatten die Hebammen gerade Übergabe und 10 Augenpaare starrten mich an. Hallooo! Hach diese Pollenallergie macht mich fertig Leute! Ich geh mal wieder. Tschüüüss.

 Eine Hebamme hasst mich übrigens. Den ganzen Tag hatte sie mich schon angeranzt und die Tür theatralisch geknallt, wenn ich irgendwas vergessen hatte (Hallo? Zweiter Tag im Kreissaal und jeder denkt, weil man 320 Fragen im Examen gekreuzt hat, wär man auf einmal allwissend und könnte problemlos mit Ultraschall und Skalpell umgehen?)  „Wie heißen Sie überhaupt?“  (patziger Unterton, untermalt mit wütenden Spucketropfen.)
„Fähre. Anna. Hab ich mich etwa nicht vorgestellt?“
 „Nö. Ich bin heute auch zum ersten Mal da im April, also geht das gar nicht!“ Jetzt einfach cool bleiben.
 „Ach… (kurzer Blick aufs Namensschild)  …Dörte, also ich kenn dich auf jeden Fall! (Ich liebe Namensschilder.) Ich glaub wir haben uns beim Probearbeiten im März kurz gesehen. Weißt du das denn nicht mehr?“ Dabei noch vertraut über den Arm reiben und Zack hat man die Sympathie wieder auf seiner Seite, obwohl ich Dörte echt noch nie gesehen hab vorher.

Apropos Arm reiben. Ich habs grad irgendwie mit vertrautem Körperkontakt: Heute bin ich meiner Oberärztin ausversehen in die Hacken gelatscht, als wir eilig zum OP gerannt sind. Ich wollte ihr entschuldigend auf den Rücken tätscheln, weil sie echt aufgeschrieen hat vor Schmerz, bin aber leider ne Etage zu tief gerutscht und hab ihr auf den Hintern gehauen. Also gleich 2 Fauxpas hintereinander. Ja so ist das wenn man krampfhaft seriös und allwissend wirken will: Man latscht von einem Fettnapf in den nächsten. Aber sonst wär das Leben ja auch langweilig oder?